Sophie Scholl auf Instagram – Realistische Darstellung oder Geschichtskitsch?

Die Instagram-Serie @ichbinsophiescholl wird gerne als digitales Leuchtturm-Projekt bezeichnet. Produziert von SWR und BR, wurde sie nach wenigen Stunden von Kulturjournalisten*innen bejubelt, gefeiert und hochgelobt. Obwohl noch gar nicht viel wirklich zu sehen war. Ich habe die Instagram-Serie um die Widerstandskämpferin nun drei Wochen angesehen. Also: Wie realistisch ist die Umsetzung wirklich? Kann sie die User*innen dauerhaft fesseln? Und wie kritisch muss man die Inszenierung und besonders die interaktive Kommunikation durch eine fiktive Sophie Scholl betrachten?

Sophie Scholl auf Instagram – 300 Tage Geschichte im Social Media Kanal

„Stell dir vor, es ist 1942 auf Instagram“ – Mit diesen geschichtsträchtigen Worten beginnt die neue Instagram-Serie rund um Sophie Scholl. Denn anlässlich des 100. Geburtstags von Sophie Scholl dachten sich das SWR- und BR-Redaktionsteams, dass es weit mehr als Briefmarken, Festreden und Gedenkmünzen geben müsse. Man wollte ein Format entwickeln, dass das Leben der Sophie Scholl besonders für junge Menschen nahbar macht. Sie sollte nicht länger als historisch eingestaubtes, maximal langweiliges Schicksal der NS-Geschichte wahrgenommen werden. Ziel war es, den Mythos der Widerstandskämpferin aufzubrechen und sie als eine junge, politisch engagierte Aktivistin darzustellen. Und kaum ein Medium schien geeigneter für eine moderne Darstellung und die Erzählkraft der Sophie Scholl zu sein als Instagram.

Bei der Story-Entwicklung legte man allerdings höchsten Wert auf exzellente Quellen. Begleitet von den beiden Historikerinnen Dr. Barbara Ellermeier und Dr. Maren Gottschalk, die sich bereits zuvor mit Publikationen um das Leben der Sophie Scholl einen Namen machten, wurde die Lebensgeschichte geprüft und auf dieser Basis der Feed entwickelt.  

© SWR/Rebecca Rütten/Sommerhaus Film

Schließlich entschied man sich, den Feed um Sophie Scholl schon fünf Tage vor ihrem Geburtstag am 9. Mai zu starten. Denn am 4. Mai 1942 zog Scholl nach München, um ihr Studium aufzunehmen. „Zu ihrem Geburtstag am 9. Mai sollte der Kanal online sein. Damit die Instagram-User*innen an ihrem Geburtstag schon einige Posts im Kanal finden, sich vorstellen konnten, wie die Serie funktioniert und Sophie Scholl als Person kennenlernen konnten, haben wir ein paar Tage vorher angefangen“, erläutert Annette Gilcher, Pressesprecherin des SWR. „Die Echtzeit-Struktur bedingt ja, dass sich der Kanal erst nach und nach füllt.“

300 Tage lang können Instagram-User*ìnnen Sophie Scholl nun begleiten. Bis zum Tag ihrer Verhaftung am 18. Februar 1943. Denn zu diesem Zeitpunkt wird die Real-Instagram-Story der Sophie Scholl ihr Ende finden. Historisch betrachtet wurde Sophie Scholl vier Tage später erschossen.

Content is king - Produktionsweise und Instagram-Feed

Um einen dramaturgischen Leitfaden für die letzten zehn Monate im Leben der Sophie Scholl halten zu können, wurden alle Inhalte binnen drei Wochen in München und Berlin gedreht. Verantwortlich zeigten sich dabei Regisseur Tom Lass und Social Media Regisseurin Suli Kurban. Gespielt wird Sophie Scholl von der 1999 in Zürich geborenen Schauspielerin Luna Wedler.

Um die Echtzeit zu unterstreichen, drehte Wedler alias Sophie die meisten Szenen im Selfie-Modus, also aus ihrer Perspektive heraus. Der SWR bezeichnet dies als „radikal subjektiv“. So gibt es auch bei Sophie Scholl ein trendiges „Unboxing“-Video zu ihrem Geburtstag oder eben ein Live-Video um 11 Uhr, da sie zu diesem Zeitpunkt beschließt, den Rest ihrer Vorlesung zu schwänzen und an den See zu fahren. Sophie Scholl redet über ihre Beziehung und Gefühlsschwankungen, über Streitereien zwischen Geschwistern und zeigt emotionale Szene, wenn sie zum Beispiel ihren Bruder endlich in München wiedersieht.

Angereichert werden die gedrehten Szenen teilweise von historischem Originalmaterial im Feed, aber auch von Zeichnungen und Animationen. Verantwortlich für die Illustrationen ist die Künstlerin Édith Carron.

Illustration von Luna Wedler als Sophie Scholl. © SWR/Edith Carrons

So fühlt es sich fast ein bisschen an als würde man einer Influencerin folgen, die täglich neuen Content liefern muss. Die Ereignisse, das Leben der Sophie Scholl, sind auch nach drei Wochen so spannend oder langweilig, so normal oder nachvollziehbar wie das vieler Anfang Zwanzigjähriger. Positiv ist mir allerdings aufgefallen, dass die Produktion vollständig auf Jugendsprache oder gar Emojis verzichtet. Diese sind lediglich in den Kommentaren zu finden und dort auch nicht vermeidbar. Ich empfand es als beruhigend und respektvoll der historischen Person Scholl gegenüber, sie nicht mit moderner Höhlenmalerei auszustatten oder ihr eine Sprache aufzudrücken, die sie in ihren Lebensjahren nicht gesprochen hätte.

Man kann dem Instagram-Profil also durchaus folgen, ohne, dass es langweilig wird. Das muss man auch nicht unbedingt täglich, denn selbstverständlich sind alle Folgen der Woche auch als Zusammenfassung zu sehen. Natürlich können sich ältere Instagram-Nutzer*innen schnell fragen, was sie mit dem Gefühlsleben einer 20-jährigen anfangen sollen. Aber der historische Hintergrund, der Zweck und das Ziel der Instagram-Serie haben dies für mich relativiert und ließen mich der Darstellung weiter Aufmerksamkeit schenken.

Kritische Kommunikation und fehlende Quellen – Bedenkliche Schwachstellen

Laut SWR Angaben soll @ichbinsophiescholl überwiegend junge Frauen im Alter von 18 bis 24 Jahren ansprechen. Diese sind politisch vorgebildet, tendenziell kritisch, kulturell interessiert und Instagram- und wissensaffin. Die gewünschte Zielgruppe ist also die Traumzielgruppe einer jeden Redaktion oder eines jeden (Medien-) Produktes, das in irgendeiner Art und Weise als nachhaltig oder glaubwürdig gelten möchte. Leider aber hat Social Media mehr als einmal bewiesen, dass sie genau das meist nicht erfüllt.

©SWR/Nils Schwarz

Stattdessen ist eines feststellbar: Immer häufiger und gerade jetzt, da der erste Medienhype aussetzt, finden sich Kommentare junger Menschen, die am Thema vorbei sind. Da wird über den Gefühlszustand von Sophies Freund Fritz Hartnagel diskutiert. Über Streitereien unter Geschwistern. Das mag nicht verwerflich sein. Zumal man bedenken muss, dass es zum Beispiel für Produktionsfirmen nichts Neues ist, wenn sie Anfragen von Zuschauer*innen auf ein Zeitungs-Abonnement bekommen, weil die Serie eine Zeitungsredaktion darstellt. Auch gab es bereits Anfragen, sich von dem Anwalt XY einer Serie gerichtlich vertreten zu lassen.

Allerdings antwortet hier das inszenierte Profil der Sophie Scholl auf diese Kommentare. Es wird also suggeriert und auch bewusst damit agiert, dass die Antworten von der Figur Scholl kommen, dass man wisse, was Scholl wirklich dachte oder fühlte. Und diese Tatsache halte ich für sehr bedenklich. SWR-Pressesprecherin Gilbert sagt dazu: „Sie antwortet aus ihrer Sicht, so lange es sich auf ihre 1942/1943er Realität bezieht oder ihre persönliche Innenwelt betrifft. Das entspricht dem subjektiven Charakter des Gesamtprojektes und der Logik ihrer Zeit und Wirklichkeit.“ Leider erschließt sich mir aus dieser Antwort nicht, woher ein subjektiver Charakter die Gefühle der wirklichen Sophie Scholl überhaupt kennen soll. Und ob entsprechend nicht zu viel falsche Fakten oder Emotionen transportiert werden, die der Widerstandskämpferin und dem Experiment nicht gerecht werden. Werden den Usern somit nicht Tatsachen oder Emotionen vorgegeben, die nicht belegbar sind? Geschichte und die Darstellung von Geschichtsereignissen und -personen bedürfen immer auch einer gewissen Distanz. Und diese wird in den Kommentaren eindeutig überschritten.

Hier wird das Argument gebracht, viele Dokumentationen würden inzwischen mit einer Mischung aus Fiktion und Fakten arbeiten. Das ist auch richtig. Aber im Vergleich zu der Instagram-Serie sind fiktive Teile in Dokumentationen stets ausgezeichnet und als solche erkennbar. Das ist das andere große Manko von @ichbinsophiescholl. Häufig werden historische Zitate und Dokumente mit fiktiven Anteilen vermischt und sind nicht klar erkennbar. Einige User*innen fragen danach. „Technische Fragen oder Informationen, die das Format, historische Informationen oder Links betreffen, werden von der Redaktion beantwortet“, erläutert Gilbert. Doch wie viele Menschen fragen nicht? Wie viele nehmen die Darstellungen als wahrhaftig und richtig wahr und vermengen Realitäten aus der NS-Zeit mit Darstellungen aus der Gegenwart? Die Fragen bleiben unbeantwortet.

Auch wenn man nun davon ausgehen muss, dass @ichbinsophiescholl keinen akademischen Anspruch erheben möchte, hinterlässt ein in dieser Form dargestelltes Unterhaltungsformat doch einen faden Beigeschmack. So spricht die sehr personifizierte Sophie Scholl doch kein bisschen über ihre Religiosität, die zu ihren Gefühlsschwankungen in Bezug auf ihre Beziehung führt. Sie geht nicht auf ihren Wandel von der einstigen Sympathisantin des Regimes zur Widerstandskämpferin ein. Die Figur erwähnt nicht, dass dieser Feed geheim bleiben muss (müsste), da sie sonst unter den gegebenen Umständen sofort von der Gestapo verhaftet werden würde. Auf viele dieser Punkte geht die Instagram-Serie leider nicht ein. Sie geht aber darauf ein, wie Franz oder Hans oder sie selbst sich fühlen – und suggeriert damit eine nicht vorhandene Realität, die in Zeiten von Fake News und falscher Berichterstattung auch gefährlich und für andere Zwecke missbraucht werden kann.

Denn, ob der SWR und BR die gewünschte Zielgruppe tatsächlich erreicht haben, ist bisher nach eigenen Angaben nicht bekannt. Vielleicht – und das hoffe ich – schlägt die Serie noch die Brücke zu der ein oder anderen Frage und historischem Bezug. Vielleicht schlägt sie auch noch die Brücke zu aktuellen Geschehnissen. Vielleicht endet sie wirklich mit dem Bild einer politisch engagierten, frechen, mutigen, widerstandsfähigen Frau, die Sophie Scholl war. Vielleicht gelingt es dieser einzigartig erfolgreichen Produktion mit rund 914.000 Followern das zu tun, was Sophie Scholl getan hat: aufklären und kritisch bleiben. Es wäre wünschenswert.

Aber noch ist ja auch Zeit bis zum 18. Februar. Noch ist Zeit, Sophie Scholl mit dieser Instagram-Serie wirklich ein weiteres Denkmal zu setzen. Warten wir es ab.

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